Noch immer wird E-Sport vereinzelt als nerdiges Teenagerhobby abgetan, doch die Teenager von einst sind längst erwachsen geworden und mit ihnen die E-Sport-Branche. Die Preisgelder bei großen Turnieren bewegen sich zum Teil im siebenstelligen Bereich, genau wie auch die Zuschauerzahlen. Während der Einschränkungen zur Eindämmung von COVID-19 konnte der E-Sport zahlreiche neue Zuschauer gewinnen. Doch bisher konnte die Branche diese Entwicklung nur bedingt monetarisieren. Dabei ist entsprechendes Potenzial vorhanden, denn das E-Sport-Publikum ist für viele Unternehmen eine attraktive Zielgruppe.
Um die aktuellen Entwicklungen sowie das Potenzial der Branche in Europa abzubilden, hat Deloitte gemeinsam mit ISFE Esports, einer Abteilung von ISFE (Interactive Software Federation of Europe) im Sommer 2021 in insgesamt zwölf europäischen Ländern und Regionen* rund 20.000 Konsumenten im Alter zwischen 16 und 65 Jahren befragt sowie zusätzlich knapp 70 Branchenexperten aus 14 Ländern interviewt.
„In recht kurzer Zeit hat sich aus einzelnen Ligen und Wettkampfformaten ein globales Ökosystem im E-Sport entwickelt, das natürlich eng mit der Games-Industrie verknüpft ist“, erklärt Stefan Ludwig, Partner und Leiter der Sport Business Gruppe von Deloitte. „Außerdem hat E-Sport in den vergangenen Jahren stetig an Popularität und Publikum gewonnen, vor allem 2020 und 2021 konnten hier wesentliche Zugewinne verzeichnet werden. Jetzt steht die Branche vor der Aufgabe, gemeinsam mit allen Stakeholdern widerstandsfähige Strukturen für nachhaltiges Wachstum zu schaffen.“
Mehr Zuschauer, aber nicht unbedingt mehr Umsatz: E-Sport während COVID-19
Hinter der Unterhaltungsbranche liegen pandemiebedingt eineinhalb turbulente Jahre. Der E-Sport ist hier keine Ausnahme. Einerseits war die Branche durch ihre starke Online-Präsenz deutlich weniger betroffen als die meisten anderen Veranstaltungen. Viele Menschen verbrachten mehr Zeit zu Hause und nutzten E-Sport als willkommene Ablenkung in der Freizeit. Länderübergreifend gaben 42 Prozent der Befragten, die bereits vor der Pandemie E-Sport-Inhalte geschaut haben, an, während der Einschränkungen mehr E-Sport verfolgt zu haben als vorher. Zudem konnte E-Sport in dieser Zeit auch viele neue Zuschauer begeistern: In Deutschland hat sich die Reichweite mehr als verdoppelt, 52 Prozent der E-Sport-Zuschauer gaben an, das erste Mal während der Pandemie eingeschaltet zu haben. In den anderen Ländern sind die Zahlen ähnlich hoch. Erfreulich ist, dass auch deutlich mehr Frauen – die im E-Sport sowohl als aktive Teilnehmerinnen als auch als Zuschauerinnen noch immer unterrepräsentiert sind – entsprechende Inhalte konsumiert haben. So ergab die Befragung, dass die Anzahl an E-Sport-Konsumentinnen aktuell rund 2,4 Mal so hoch ist wie vor der Pandemie.
Auf der anderen Seite musste natürlich auch die E-Sport-Branche auf ihre großen Präsenz-Events und die damit einhergehenden Umsätze verzichten. Die schwierige wirtschaftliche Lage in vielen Branchen wirkte sich auch auf Sponsorings und Partnerschaften im E-Sport aus. „Der Zuwachs von Popularität und Publikum ist erfreulich, allerdings muss sich noch zeigen, wie nachhaltig diese Entwicklung mittel- und langfristig ist“, sagt Kim Lachmann, Senior Manager der Sport Business Gruppe von Deloitte. „Die wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 auf die Branche sind ambivalent. Manche Bereiche, wie beispielsweise die Ligen, stehen überwiegend gut da, während die Event-Sparte natürlich deutliche Verluste hinnehmen musste.“
Wer sind die E-Sport-Fans und was begeistert sie?
Die Fans sind im E-Sport besonders präsent, da die digitalen Kanäle hier eine große Rolle spielen und eine direkte Feedbackkultur fördern. Spieler, Veranstalter und andere Stakeholder können zum Teil in Echtzeit verfolgen, was beim Publikum gut ankommt und was nicht. Und dieses Publikum ist für viele Unternehmen eine attraktive Zielgruppe: Im Schnitt sind E-Sport-Zuschauer jung, gut ausgebildet, mit digitalen Medien aufgewachsen, werteorientiert und verfügen über ein eher hohes Einkommen. Überraschend ist der genaue Blick auf die Altersgruppen, so ist nicht die jüngere Generation Z (16 bis 25 Jahre) unter den E-Sport-Zuschauern am stärksten vertreten, sondern die Millennials (26 bis 40 Jahre). Das beliebteste Game-Genre sind sogenannte Shooter. So gaben 50 Prozent der befragten E-Sport-Fans an, sich bereits Inhalte aus diesem Genre angeschaut zu haben, gefolgt von Sportsimulationen (48 Prozent) und Racing Games (39 Prozent).
E-Sport ist ein Entertainmentprodukt und konkurriert daher beispielsweise mit Musik, Sport oder auch Filmen um die begrenzte Freizeit der Konsumenten. Tatsächlich gaben 30 Prozent der potenziell an E-Sport interessierten Befragten schlichten Zeitmangel als Grund an, warum sie nicht mehr E-Sport schauen. Allerdings gibt es beim Konsum auch ein paar Hindernisse, welche die Branche selbst aus dem Weg räumen kann: So wissen 20 Prozent der Interessierten nicht, wo sie E-Sport verfolgen können, und 16 beziehungsweise 12 Prozent berichteten, die Wettkampfsysteme oder die Spiele selbst nicht ausreichend zu verstehen.
„Es gibt nicht den prototypischen E-Sport-Konsumenten, auch wenn Videospiele und der E-Sport in Europa mittlerweile ein sehr breites Publikum ansprechen und eine wichtige kulturelle Bewegung darstellen“, sagt Sergi Mesonero, Leiter von ISFE Esports bei ISFE. „Die Begeisterung für E-Sport teilen Menschen unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder ihrer Herkunft. Mit ihren zahlreichen Genres und Spielen findet in der E-Sport-Szene eigentlich jeder seine Nische. Dazu passend unterscheidet sich auch die Motivation der Zuschauer. Während manche Konsumenten einfach unterhalten werden möchten, wollen andere aktiv in der Community partizipieren, wieder andere begeistern sich besonders für die Fähigkeiten oder das Charisma bestimmter Spieler*innen oder Teams.“
Wo werden Umsätze im E-Sport generiert?
Noch schafft es die Branche allerdings noch nicht, die Beliebtheit von E-Sport entsprechend in nachhaltige Umsätze zu übersetzen. Jeder Fünfte der Befragten hat schon einmal Geld für E-Sport ausgegeben. Kurios ist, dass etwa ein Drittel, die schon einmal gezahlt haben, selbst noch nie E-Sport konsumiert, sondern Geschenke gekauft oder einfach etwas Neues ausprobiert hat. Allerdings handelt es sich hierbei in der Regel um einmalige Investitionen. Die Chance, aus dieser relativ großen Gruppe regelmäßig zahlende Konsumenten zu machen, ist eher gering.
Generell gehört es zu den Herausforderungen der Branche, mehr Erlöse über die Konsumenten zu generieren, da es aktuell weiterhin viel hochwertigen, kostenlosen Content gibt. Von Livestreams, Video-on-Demand über Free oder Pay-TV bis zu Live-Events – Fans haben viele Möglichkeiten, E-Sport zu erleben. Knapp die Hälfte (49 Prozent) der befragten E-Sport-Konsumenten gab allerdings an, am liebsten Streamingdienste zu nutzen. Am beliebtesten ist dabei Twitch, gefolgt von YouTube Gaming. Umsätze werden hier vor allem durch Werbung und Sponsorings generiert. Tatsächlich sind Sponsorings für die Hälfte der Erlöse im E-Sport verantwortlich. Während es für die Branche schwierig werden dürfte, in naher Zukunft aus Zuschauern, die kostenlose Inhalte gewöhnt sind, zahlende Fans zu machen, gibt es im Bereich Sponsoring noch viel Potenzial für den E-Sport.
Was für die Zukunft des E-Sport wichtig wird
Nachhaltige Partnerschaften mit Sponsoren und Investoren aufzubauen, die auf ein langfristiges Engagement ausgelegt sind, ist ebenso wichtig wie die Diversifizierung von Umsatzströmen, um die Branche für turbulente Zeiten abzusichern. Auch auf politischer Ebene kann sich der E-Sport für mehr und gezieltere Förderung einsetzen. Zudem ist es für die Attraktivität der Branche entscheidend, Trends früh zu erkennen und entsprechend zu adressieren – das gilt sowohl für technische Entwicklungen wie der Vormarsch von 5G und mobilen Games als auch für Anknüpfungspunkte an andere Sektoren, wie beispielsweise die Musik- und Entertainmentbranche.
„Die E-Sport-Branche ist jung, dynamisch, konsumentenorientiert – das sind gute Voraussetzungen, um zeitnah wieder an den Wachstumskurs vor COVID-19 anzuknüpfen“, bilanziert Kim Lachmann. „Das Potenzial der Branche ist noch lange nicht erschlossen, auch wenn die Monetarisierung von Inhalten weiterhin ein schwieriges Thema ist. Nun sollten nachhaltige Strukturen im noch jungen E-Sport-Ökosystem geschaffen werden, die für mehr Resilienz und somit auch für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg sorgen.“
* Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Polen, Schweiz, Spanien, Tschechien, Ungarn sowie Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden, die als Skandinavien zusammengefasst wurden.