Die Europäische Kommission hat heute (Dienstag) ein förmliches Kartellverfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob Google gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften verstoßen hat, indem es seine eigenen Online-Werbeanzeigen-Technologiedienste (sogenannte „Ad Tech“-Branche) zulasten konkurrierender Anbieter von Werbetechnologiediensten, Werbetreibender und Online-Verleger bevorzugt hat. Im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens wird die Kommission insbesondere untersuchen, ob Google den Wettbewerb verfälscht, indem es den Zugang Dritter zu Nutzerdaten für Werbung auf Websites und in Apps beschränkt und sich diese Daten die eigene Nutzung vorbehält.
Die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission Margrethe Vestager erklärte dazu: „Online-Werbedienste sind ausschlaggebend dafür, dass Google und Verleger mit ihren Online-Diensten Geld verdienen. Google sammelt Daten für gezielte Werbung, verkauft Werbeflächen und agiert auch als Online-Werbevermittler. Damit ist das Unternehmen auf fast allen Ebenen der Wertschöpfungskette für Online-Werbeanzeigen vertreten. Wir vermuten, dass Google es konkurrierenden Online-Werbediensten erschwert haben könnte, am Wettbewerb im Bereich der Werbetechnologie teilzunehmen. Faire Wettbewerbsbedingungen sind für alle in der Branche tätigen Unternehmen wichtig: sowohl für Werbetreibende, die Verbraucher auf den Websites der Verlage erreichen wollen, als auch für Verlage, die ihre Werbeflächen an Werbetreibende verkaufen wollen, um Einnahmen zur Finanzierung von Inhalten zu erzielen. Außerdem werden wir prüfen, ob die von Google angewandten Nutzerverfolgungsverfahren mit dem fairen Wettbewerb im Einklang stehen.“
Viele Verleger greifen auf Online-Anzeigen zurück, um die kostenlose Bereitstellung von Online-Inhalten für Verbraucher zu finanzieren. Im Jahr 2019 beliefen sich die Ausgaben für Werbeanzeigen in der EU schätzungsweise auf rund 20 Mrd. Euro. Google bietet verschiedene Werbetechnologiedienste an, die zwischen Werbetreibenden und Verlegern angesiedelt sind und dazu dienen, Werbung auf Websites oder in Mobil-Apps anzuzeigen.
Die Untersuchung der Kommission wird sich auf den Bereich der Werbeanzeigen konzentrieren, in dem Google sowohl für Werbetreibende als auch für Verleger eine Reihe von Diensten anbietet. Im Rahmen ihrer eingehenden Untersuchung wird die Kommission insbesondere den folgenden Fragen nachgehen:
- Müssen zum Kauf von Online-Werbeanzeigen auf YouTube die Google-Dienste „Display & Video 360“ („DV360“) und/oder Google Ads genutzt werden?
- Muss der Google Ad Manager genutzt werden, um Online-Werbeanzeigen auf YouTube zu schalten, und erlegt Google anderen Diensten, die mit dem Google Ad Manager konkurrieren, Beschränkungen in Bezug auf die Art und Weise auf, wie diese Online-Werbeanzeigen auf YouTube ausliefern können?
- Inwieweit bevorzugen DV360 und/oder Google Ads die Werbebörse Google Ad Exchange (AdX) und begünstigt AdX die Google-Dienste DV360 und/oder Google Ads?
- Inwieweit beschränkt Google die Möglichkeiten Dritter – z. B. Werbetreibender, Verleger oder konkurrierender Online-Werbeanzeigenvermittler –, auf Daten zur Nutzeridentität oder zum Nutzerverhalten zuzugreifen, während den Google-eigenen Werbevermittlungsdiensten diese Daten einschließlich der Doubleclick-ID zur Verfügung stehen?
- Was hat es mit den von Google angekündigten Plänen auf sich, die Platzierung von Drittanbieter-Cookies auf Chrome zu verbieten und sie durch das Instrumentarium der „Privatsphäre-Sandbox“ zu ersetzen, und welche Auswirkungen hat das auf die Märkte für Online-Werbeanzeigen und Online-Werbeanzeigenvermittlung?
- Was hat es mit den von Google angekündigten Plänen auf sich, Dritten die Werbekennung auf intelligenten Android-Mobilgeräten nicht mehr zur Verfügung zu stellen, wenn der betreffende Nutzer personalisierte Werbung deaktiviert, und welche Auswirkungen hat das auf die Märkte für Online-Werbeanzeigen und Online-Werbeanzeigenvermittlung?
Diese Praktiken könnten gegen die EU-Vorschriften über wettbewerbswidrige Vereinbarungen zwischen Unternehmen (Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) und/oder die EU-Vorschriften über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Artikel 102 AEUV) verstoßen.
Die Kommission wird der Notwendigkeit Rechnung tragen, im Einklang mit den einschlägigen EU-Rechtsvorschriften wie der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die Privatsphäre der Nutzer zu schützen. Auf der Grundlage des Wettbewerbsrechts und der Datenschutzgesetze muss sichergestellt werden, dass auf den Märkten für Anzeigenwerbung faire Wettbewerbsbedingungen herrschen und dass alle Marktteilnehmer die Privatsphäre der Nutzer in gleicher Weise schützen.
Die Kommission wird diese eingehende Untersuchung vorrangig behandeln. Das Verfahren wird ergebnisoffen geführt.
Hintergrund
Nach Artikel 101 AEUV sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des EU-Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, verboten. Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung. Wie diese Bestimmungen umzusetzen sind, ist in der EU-Kartellverordnung (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates) festgelegt, die auch von den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten angewendet werden kann.
Nach Artikel 11 Absatz 6 der Kartellverordnung entfällt mit der Verfahrenseinleitung durch die Kommission die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts in der jeweiligen Sache. Artikel 16 Absatz 1 dieser Verordnung besagt ferner, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten keine Entscheidungen erlassen dürfen, die einem Beschluss zuwiderlaufen, den die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt.
Die Kommission hat Google und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten über die Einleitung des Verfahrens in dieser Sache unterrichtet.
Für den Abschluss einer kartellrechtlichen Untersuchung gibt es keine verbindliche Frist. Ihre Dauer hängt von mehreren Faktoren ab, so etwa von der Komplexität des jeweiligen Falles, der Bereitschaft der betroffenen Unternehmen zur Zusammenarbeit mit der Kommission sowie der Ausübung der Rechte auf Verteidigung.